Bücher als Verbündete

Bücher als Verbündete

Als Kind war ich oft allein. Nicht einsam – aber allein. Während andere Kinder mühelos miteinander spielten, saß ich lieber unter einem Baum, mit einem Buch auf dem Schoß. Ich verstand ihre Spiele nicht. Ihre Regeln, ihre schnellen Witze, das ständige Hin und Her, das mich überforderte. Ich wusste nicht, dass mein Gehirn einfach anders funktioniert. Ich wusste nur, dass es stiller sein musste, damit ich atmen konnte.

Heute weiß ich: Ich bin autistisch. Und obwohl diese Erkenntnis erst viel später kam, war sie wie ein Licht, das rückblickend viele dunkle Winkel meiner Kindheit erhellt hat. Ich war nicht komisch. Ich war nicht falsch. Ich war einfach ich – nur ohne die Worte, um es zu erklären.

In dieser wortlosen Zeit wurden Bücher meine Verbündeten. Sie gaben mir eine Sprache. Sie nahmen mich mit an Orte, die ich nie hätte betreten können. In Wäldern voller Feen, auf Schiffe mit mutigen Heldinnen, in ferne Länder mit seltsamen Namen. Ich las Geschichten, in denen man anders sein durfte. Wo Freundschaft sich nicht nach Blickkontakt richtete. Wo Magie in der Luft lag und ein stilles Kind mit einem Buch der eigentliche Held war.

Und draußen, in der echten Welt, suchte ich mir meine eigenen Feenorte. Kleine Lichtungen im Wald, ein Bach, der leise plätscherte, ein alter Baum, unter dem ich sitzen und einfach verschwinden konnte. Ich stellte mir vor, dort gäbe es Wesen, die mich verstanden. Zarte, leuchtende Gestalten, die meine Gedanken spürten, auch wenn ich sie nicht aussprechen konnte. Vielleicht sind sie noch immer dort – oder sie sind ein Teil von mir geworden.

Heute kehre ich immer wieder in diese Welt zurück. Mit dem Velo, über schmale Pfade, immer wieder rund um den See. Ich beobachte, was blüht. Ich halte an, wenn mich etwas berührt – ein Moostuft, der aussieht wie eine Miniaturlandschaft, eine Blüte, die sich mutig durch die Erde schiebt. Und dann fotografiere ich. Nicht, um zu zeigen, was ich sehe, sondern um zu teilen, was ich fühle.

In meinem Schmuck verarbeite ich all das. Die Geschichten, die ich gelesen habe. Die Feen, die mich getröstet haben. Die Natur, die mich nie überfordert hat. Jedes Stück, das ich mache, ist wie eine kleine Erinnerung daran, dass auch das Leise, das Zarte, das Andere seinen Platz hat. Dass Schönheit oft genau dort wächst, wo man sie nicht erwartet.

Vielleicht ist das mein größter Kindheitstraum: Nicht die Höhle im Wald – sondern die Gewissheit, dass mein Anderssein Teil von etwas Ganzem ist. Dass ich mich heute nicht mehr verstecken muss, sondern meine Welt sichtbar machen darf. Zwischen Seiten und Zweigen. Zwischen Licht und Moos. Zwischen damals und jetzt.

Ich bin dann mal auf und davon,

Rún :)

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